Mittwoch, 21. März 2012

Die zertanzten Schuhe

133. Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm


Es war einmal ein König, der hatte zwölf Töchter, eine immer schöner als die andere. Sie schliefen zusammen in einem Saal, wo ihre Betten neben einander standen, und Abends, wenn sie darin lagen, schloß der König die Thür zu und verriegelte sie. Wenn er aber am Morgen die Thüre aufschloß, so sah er daß ihre Schuhe zertanzt waren, und niemand konnte herausbringen wie das zugegangen war. Da ließ der König ausrufen wers könnte ausfindig machen, wo sie in der Nacht tanzten, der sollte sich eine davon zur Frau wählen und nach seinem Tod König sein: wer sich aber meldete und es nach drei Tagen und Nächten nicht heraus brächte, der hätte sein Leben verwirkt. Nicht lange, so meldete sich ein Königssohn und erbot sich das Wagnis zu unternehmen. 

Er ward wohl aufgenommen, und Abends in ein Zimmer geführt, das an den Schlafsaal stieß. Sein Bett war da aufgeschlagen und er sollte Acht haben wo sie hingiengen und tanzten; und damit sie nichts heimlich treiben konnten oder zu einem andern Ort hinaus giengen, war auch die Saalthüre offen gelassen. Dem Königssohn fiels aber wie Blei auf die Augen und er schlief ein, und als er am Morgen aufwachte waren alle zwölfe zum Tanz gewesen, denn ihre Schuhe standen da und hatten Löcher in den Sohlen. Den zweiten und dritten Abend giengs nicht anders, und da ward ihm sein Haupt ohne Barmherzigkeit abgeschlagen. Es kamen hernach noch viele und meldeten sich zu dem Wagestück, sie mußten aber alle ihr Leben lassen. Nun trugs sichs zu, daß ein armer Soldat, der eine Wunde hatte und nicht mehr dienen konnte, sich auf dem Weg nach der Stadt befand, wo der König wohnte. Da begegnete ihm eine alte Frau, die fragte ihn wo er hin wollte. „Ich weiß selber nicht recht,“ sprach er, und setzte im Scherz hinzu „ich hätte wohl Lust ausfindig zu machen wo die Königstöchter ihre Schuhe vertanzen, und darnach König zu werden.“ „Das ist so schwer nicht,“ sagte die Alte, „du mußt den Wein nicht trinken, der dir Abends gebracht wird, und mußt thun als wärst du fest eingeschlafen.“ Darauf gab sie ihm ein Mäntelchen und sprach „wenn du das umhängst, so bist du unsichtbar und kannst den zwölfen dann nachschleichen.“ Wie der Soldat den guten Rath bekommen hatte, wards Ernst bei ihm, so daß er ein Herz faßte, vor den König gieng und sich als Freier meldete. Er ward so gut aufgenommen wie die andern auch, und wurden ihm königliche Kleider angethan. Abends zur Schlafenszeit ward er in das Vorzimmer geführt, und als er zu Bette gehen wollte, kam die älteste und brachte ihm einen Becher Wein: aber er hatte sich einen Schwamm unter das Kinn gebunden, ließ den Wein da hineinlaufen, und trank keinen Tropfen. Dann legte er sich nieder, und als er ein Weilchen gelegen hatte, fieng er an zu schnarchen wie im tiefsten Schlaf. Das hörten die zwölf Königstöchter, lachten, und die älteste sprach „der hätte auch sein Leben sparen können.“ Danach standen sie auf, öffneten Schränke, Kisten und Kasten, und holten prächtige Kleider heraus: putzten sich vor den Spiegeln, sprangen herum und freuten sich auf den Tanz. Nur die jüngste sagte „ich weiß nicht, ihr freut euch, aber mir ist so wunderlich zu Muthe: gewiß widerfährt uns ein Unglück.“ „Du bist eine Schneegans,“ sagte die älteste, „die sich immer fürchtet. Hast du vergessen wie viel Königssöhne schon umsonst dagewesen sind? dem Soldaten hätt ich nicht einmal brauchen einen Schlaftrunk zu geben, der Lümmel wäre doch nicht aufgewacht.“ Wie sie alle fertig waren, sahen sie erst nach dem Soldaten, aber der hatte die Augen zugethan, rührte und regte sich nicht, und sie glaubten nun ganz sicher zu sein. Da gieng die älteste an ihr Bett und klopfte daran: alsbald sank es in die Erde, und sie stiegen durch die Öffnung hinab, eine nach der andern, die älteste voran. Der Soldat, der alles mit angesehen hatte, zauderte nicht lange, hieng sein Mäntelchen um und stieg hinter der jüngsten mit hinab. Mitten auf der Treppe trat er ihr ein wenig aufs Kleid, da erschrack sie und rief „was ist das? wer hält mich am Kleid?“ „Sei nicht so einfältig,“ sagte die älteste, „du bist an einem Haken hängen geblieben.“ Da giengen sie vollends hinab, und wie sie unten waren, standen sie in einem wunderprächtigen Baumgang, da waren alle Blätter von Silber, und schimmerten und glänzten. Der Soldat dachte „du willst dir ein Wahrzeichen mitnehmen,“ und brach einen Zweig davon ab: da fuhr ein gewaltiger Krach aus dem Baume. Die jüngste rief wieder „es ist nicht richtig, habt ihr den Knall gehört?“ Die älteste aber sprach „das sind Freudenschüsse, weil wir unsere Prinzen bald erlöst haben.“ Sie kamen darauf in einen Baumgang, wo alle Blätter von Gold, und endlich in einen dritten, wo sie klarer Demant waren: von beiden brach er einen Zweig ab, wobei es jedesmal krachte, daß die jüngste vor Schrecken zusammenfuhr: aber die älteste blieb dabei, es wären Freudenschüsse. Sie giengen weiter und kamen zu einem großen Wasser, darauf standen zwölf Schifflein, und in jedem Schifflein saß ein schöner Prinz, die hatten auf die zwölfe gewartet, und jeder nahm eine zu sich, der Soldat aber setzte sich mit der jüngsten ein. Da sprach der Prinz „ich weiß nicht das Schiff ist heute viel schwerer und ich muß aus allen Kräften rudern, wenn ich es fortbringen soll.“ „Wovon sollte das kommen,“ sprach die jüngste, „als vom warmen Wetter, es ist mir auch so heiß zu Muth.“ 

Jenseits des Wassers aber stand ein schönes hellerleuchtetes Schloß, woraus eine lustige Musik erschallte von Pauken und Trompeten. Sie ruderten hinüber, traten ein, und jeder Prinz tanzte mit seiner Liebsten; der Soldat tanzte aber unsichtbar mit, und wenn eine einen Becher mit Wein hielt, so trank er ihn aus, daß er leer war, wenn sie ihn an den Mund brachte; und der jüngsten ward auch angst darüber, aber die älteste brachte sie immer zum Schweigen. Sie tanzten da bis drei Uhr am andern Morgen, wo alle Schuhe durchgetanzt waren und sie aufhören mußten. Die Prinzen fuhren sie über das Wasser wieder zurück, und der Soldat setzte sich diesmal vornen hin zur ältesten. Am Ufer nahmen sie von ihren Prinzen Abschied und versprachen in der folgenden Nacht wieder zu kommen. Als sie an der Treppe waren, lief der Soldat voraus und legte sich in sein Bett, und als die Zwölf langsam und müde herauf getrippelt kamen, schnarchte er schon wieder so laut, daß sies alle hören konnten, und sie sprachen „vor dem sind wir sicher.“ Da thaten sie ihre schönen Kleider aus, brachten sie weg, stellten die zertanzten Schuhe unter das Bett und legten sich nieder. Am andern Morgen wollte der Soldat nichts sagen, sondern das wunderliche Wesen noch mit ansehen, und gieng die zweite und die dritte Nacht wieder mit. Da war alles wie das erstemal, und sie tanzten jedesmal bis die Schuhe entzwei waren. Das drittemal aber nahm er zum Wahrzeichen einen Becher mit. Als die Stunde gekommen war, wo er antworten sollte, steckte er die drei Zweige und den Becher zu sich und gieng vor den König, die Zwölfe aber standen hinter der Thüre und horchten was er sagen würde. Als der König die Frage that „wo haben meine zwölf Töchter ihre Schuhe in der Nacht vertanzt?“ so antwortete er „mit zwölf Prinzen in einem unterirdischen Schloß,“ berichtete wie es zugegangen war, und holte die Wahrzeichen hervor. Da ließ der König seine Töchter kommen und fragte sie ob der Soldat die Wahrheit gesagt hätte, und da sie sahen daß sie verrathen waren und Läugnen nichts half, so mußten sie alles eingestehen. Darauf fragte ihn der König welche er zur Frau haben wollte. Er antwortete „ich bin nicht mehr jung, so gebt mir die älteste.“ Da ward noch an selbigem Tage die Hochzeit gehalten und ihm das Reich nach des Königs Tode versprochen. Aber die Prinzen wurden auf so viel Tage wieder verwünscht, als sie Nächte mit den Zwölfen getanzt hatten.


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