Sonntag, 27. Mai 2012

Gedichte von Goethe

Gedichtesammlung von Johann Wolfgang von Goethe


Die Jahreszahl hinter dem Titel gibt das Entstehungsjahr des Gedichtes an.


Das Schreyen [1767]

Glück der Entfernung [1767]

Scheintod [1767]

Die Freuden [1769]

Erinnerung [1767]

Der Abschied [1770]

Blinde Kuh [1770]

Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg [1770]

Heidenröslein [1771]

Mayfest [1771]

Mit einem gemahlten Band [1771]

Lied, das ein selbst gemahltes Band begleitete [1771]

Willkommen und Abschied [1771]

Prometheus [1772]

Ganymed [1774]

Geistes-Gruß [1774]

Neue Liebe, Neues Leben [1774]

An Belinden [1775]

Das Veilchen [1775]

Der neue Amadis [1775]

Herbstgefühl [1775]

Nähe des Geliebten [1775]

Wonne der Wehmuth [1775]

Auf dem See [1775]

Vom Berge [1775]

Rastlose Liebe [1776]

Einschränkung [1776]

Wandrers Nachtlied [1776]

Beherzigung [1776]

Der Fischer [1779]

Ein Gleiches [1780]

Gränzen der Menschheit [1781]

Nachtgedanken [1781]

Erlkönig [1781]

Ilmenau [1783]

Das Göttliche [1783]

Harfenspieler [1784]

Erster Verlust [1788]

An die Entfernte [1788]

Römische Elegien [1788]

Venezianische Epigramme [1790]

Wer nie sein Brot mit Tränen aß [1794]

Der Zauberlehrling [1797]

Die Braut von Corinth [1797]

Der Schatzgräber [1797]

An die Günstigen [1799]

Mächtiges Überraschen [1807]

Ergo Bibamus [1810]

Das Tagebuch [1810]

Annonce [1811]

Gefunden [1813]

Der getreue Eckart [1813]

Um Mitternacht [1818]

Weihnachten [1822]

Marienbader Elegie [1823]

Märkte reizen dich zum Kauf [1827]

Vermächtniß [1829]

Osterspaziergang [1832]



Andere epische Datenquellen

Goethe Gedichte
Sprichwörter

Zitate



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Samstag, 26. Mai 2012

Allerleirauh

65. Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm


Es war einmal ein König, der hatte eine Frau mit goldenen Haaren, und sie war so schön, daß sich ihres Gleichen nicht mehr auf Erden fand. Es geschah, daß sie krank lag, und als sie fühlte daß sie bald sterben würde, rief sie den König und sprach „wenn du nach meinem Tode dich wieder vermählen willst, so nimm keine, die nicht eben so schön ist, als ich bin, und die nicht solche goldene Haare hat, wie ich habe; das mußt du mir versprechen.“ Nachdem es ihr der König versprochen hatte, that sie die Augen zu und starb.

Der König war lange Zeit nicht zu trösten und dachte nicht daran, eine zweite Frau zu nehmen. Endlich sprachen seine Räthe „es geht nicht anders, der König muß sich wieder vermählen, damit wir eine Königin haben.“ Nun wurden Boten weit und breit umhergeschickt, eine Braut zu suchen, die an Schönheit der verstorbenen Königin ganz gleich käme. Es war aber keine in der ganzen Welt zu finden, und wenn man sie auch gefunden hätte, so war doch keine da, die solche goldene Haare gehabt hätte. Also kamen die Boten unverrichteter Sache wieder heim.

Nun hatte der König eine Tochter, die war gerade so schön wie ihre verstorbene Mutter, und hatte auch solche goldene Haare. Als sie herangewachsen war, sah sie der König einmal an und sah daß sie in allem seiner verstorbenen Gemahlin ähnlich war und fühlte plötzlich eine heftige Liebe zu ihr. Da sprach er zu seinen Räthen „ich will meine Tochter heirathen, denn sie ist das Ebenbild meiner verstorbenen Frau, und sonst kann ich doch keine Braut finden, die ihr gleicht.“ Als die Räthe das hörten, erschraken sie und sprachen „Gott hat verboten daß der Vater seine Tochter heirathe, aus der Sünde kann nichts Gutes entspringen und das Reich wird mit ins Verderben gezogen.“ Die Tochter erschrak noch mehr als sie den Entschluß ihres Vaters vernahm, hoffte aber ihn von seinem Vorhaben noch abzubringen. Da sagte sie zu ihm „eh ich euren Wunsch erfülle, muß ich erst drei Kleider haben, eins so golden wie die Sonne, eins so silbern wie der Mond, und eins so glänzend wie die Sterne; ferner verlange ich einen Mantel von tausenderlei Pelz und Rauhwerk zusammengesetzt, und ein jedes Thier in euerm Reich muß ein Stück von seiner Haut dazu geben.“ Sie dachte aber „das anzuschaffen ist ganz unmöglich, und ich bringe damit meinen Vater von seinen bösen Gedanken ab.“ Der König ließ aber nicht ab, und die geschicktesten Jungfrauen in seinem Reiche mußten die drei Kleider weben, eins so golden wie die Sonne, eins so silbern wie der Mond, und eins so glänzend wie die Sterne; und seine Jäger mußten alle Thiere im ganzen Reiche auffangen und ihnen ein Stück von ihrer Haut abziehen; daraus ward ein Mantel von tausenderlei Rauhwerk gemacht. Endlich, als alles fertig war, ließ der König den Mantel herbei holen, breitete ihn vor ihr aus und sprach „morgen soll die Hochzeit sein.“

Als nun die Königstochter sah daß keine Hoffnung mehr war ihres Vaters Herz umzuwenden, so faßte sie den Entschluß zu entfliehen. In der Nacht, während alles schlief, stand sie auf und nahm von ihren Kostbarkeiten dreierlei, einen goldenen Ring, ein goldenes Spinnrädchen und ein goldenes Haspelchen; die drei Kleider von Sonne Mond und Sternen, that sie in eine Nußschale, zog den Mantel von allerlei Rauhwerk an und machte sich Gesicht und Hände mit Ruß schwarz. Dann befahl sie sich Gott und gieng fort, und gieng die ganze Nacht, bis sie in einen großen Wald kam. Und weil sie müde war, setzte sie sich in einen hohlen Baum, und schlief ein.

Die Sonne gieng auf und sie schlief fort und schlief noch immer, als es schon hoher Tag war. Da trug es sich zu, daß der König, dem dieser Wald gehörte, darin jagte. Als seine Hunde zu dem Baum kamen, schnupperten sie, liefen rings herum und bellten. Sprach der König zu den Jägern „seht doch was dort für ein Wild sich versteckt hat.“ Die Jäger folgten dem Befehl, und als sie wieder kamen, sprachen sie „in dem hohlen Baum liegt ein wunderliches Thier, wie wir noch niemals eins gesehen haben: an seiner Haut ist tausenderlei Pelz; es liegt aber und schläft.“ Sprach der König „seht zu ob ihrs lebendig fangen könnt, dann bindets auf den Wagen und nehmts mit.“ Als die Jäger das Mädchen anfaßten, erwachte es voll Schrecken und rief ihnen zu „ich bin ein armes Kind, von Vater und Mutter verlassen, erbarmt euch mein und nehmt mich mit.“ Da sprachen sie „Allerleirauh, du bist gut für die Küche, komm nur mit, da kannst du die Asche zusammenkehren.“ Also setzten sie es auf den Wagen und fuhren heim in das königliche Schloß. Dort wiesen sie ihm ein Ställchen an unter der Treppe, wo kein Tageslicht hinkam, und sagten „Rauhthierchen, da kannst du wohnen und schlafen.“ Dann ward es in die Küche geschickt, da trug es Holz und Wasser, schürte das Feuer, rupfte das Federvieh, belas das Gemüs, kehrte die Asche und that alle schlechte Arbeit.

Da lebte Allerleirauh lange Zeit recht armselig. Ach, du schöne Königstochter, wie solls mit dir noch werden! Es geschah aber einmal, daß ein Fest im Schloß gefeiert ward, da sprach sie zum Koch „darf ich ein wenig hinauf gehen und zusehen? ich will mich außen vor die Thüre stellen.“ Antwortete der Koch „ja, geh nur hin, aber in einer halben Stunde mußt du wieder hier sein und die Asche zusammentragen.“ Da nahm sie ihr Öllämpchen, gieng in ihr Ställchen, zog den Pelzrock aus und wusch sich den Ruß von dem Gesicht und den Händen ab, so daß ihre volle Schönheit wieder an den Tag kam. Dann machte sie die Nuß auf und holte ihr Kleid hervor, das wie die Sonne glänzte. Und wie das geschehen war, gieng sie hinauf zum Fest, und alle traten ihr aus dem Weg, denn niemand kannte sie, und meinten nicht anders als daß es eine Königstochter wäre. Der König aber kam ihr entgegen, reichte ihr die Hand und tanzte mit ihr, und dachte in seinem Herzen „so schön haben meine Augen noch keine gesehen.“ Als der Tanz zu Ende war, verneigte sie sich, und wie sich der König umsah, war sie verschwunden, und niemand wußte wohin. Die Wächter, die vor dem Schlosse standen, wurden gerufen und ausgefragt, aber niemand hatte sie erblickt.

Sie war aber in ihr Ställchen gelaufen, hatte geschwind ihr Kleid ausgezogen, Gesicht und Hände schwarz gemacht und den Pelzmantel umgethan, und war wieder Allerleirauh. Als sie nun in die Küche kam, und an ihre Arbeit gehen und die Asche zusammenkehren wollte, sprach der Koch „laß das gut sein bis morgen und koche mir da die Suppe für den König, ich will auch einmal ein bischen oben zugucken: aber laß mir kein Haar hineinfallen, sonst kriegst du in Zukunft nichts mehr zu essen.“ Da gieng der Koch fort, und Allerleirauh kochte die Suppe für den König, und kochte eine Brotsuppe, so gut es konnte, und wie sie fertig war, holte es in dem Ställchen seinen goldenen Ring und legte ihn in die Schüssel, in welche die Suppe angerichtet ward. Als der Tanz zu Ende war, ließ sich der König die Suppe bringen und aß sie, und sie schmeckte ihm so gut, daß er meinte niemals eine bessere Suppe gegessen zu haben. Wie er aber auf den Grund kam, sah er da einen goldenen Ring liegen und konnte nicht begreifen wie er dahin gerathen war. Da befahl er der Koch sollte vor ihn kommen. Der Koch erschrack, wie er den Befehl hörte, und sprach zu Allerleirauh „gewiß hast du ein Haar in die Suppe fallen lassen; wenns wahr ist, so kriegst du Schläge.“ Als er vor den König kam, fragte dieser wer die Suppe gekocht hätte? Antwortete der Koch „ich habe sie gekocht.“ Der König aber sprach „das ist nicht wahr, denn sie war auf andere Art und viel besser gekocht als sonst.“ Antwortete er „ich muß es gestehen daß ich sie nicht gekocht habe, sondern das Rauhthierchen.“ Sprach der König „geh und laß es herauf kommen.“

Als Allerleirauh kam, fragte der König „wer bist du?“ „Ich bin ein armes Kind, das keinen Vater und Mutter mehr hat.“ Fragte er weiter „wozu bist du in meinem Schloß?“ Antwortete es „ich bin zu nichts gut als daß mir die Stiefeln um den Kopf geworfen werden.“ Fragte er weiter „wo hast du den Ring her, der in der Suppe war?“ Antwortete es „von dem Ring weiß ich nichts.“ Also konnte der König nichts erfahren und mußte es wieder fortschicken.

Über eine Zeit war wieder ein Fest, da bat Allerleirauh den Koch wie vorigesmal um Erlaubnis zusehen zu dürfen. Antwortete er „ja, aber komm in einer halben Stunde wieder und koch dem König die Brotsuppe, die er so gerne ißt.“ Da lief es in sein Ställchen, wusch sich geschwind und nahm aus der Nuß das Kleid, das so silbern war wie der Mond, und that es an. Da gieng sie hinauf, und glich einer Königstochter: und der König trat ihr entgegen und freute sich daß er sie wiedersah, und weil eben der Tanz anhub, so tanzten sie zusammen. Als aber der Tanz zu Ende war, verschwand sie wieder so schnell daß der König nicht bemerken konnte wo sie hingieng. Sie sprang aber in ihr Ställchen, und machte sich wieder zum Rauhthierchen, und gieng in die Küche, die Brotsuppe zu kochen. Als der Koch oben war, holte es das goldene Spinnrad und that es in die Schüssel, so daß die Suppe darüber angerichtet wurde. Danach ward sie dem König gebracht, der aß sie und sie schmeckte ihm so gut, wie das vorigemal, und ließ den Koch kommen, der mußte auch diesmal gestehen daß Allerleirauh die Suppe gekocht hätte. Allerleirauh kam da wieder vor den König, aber sie antwortete daß sie nur dazu da wäre, daß ihr die Stiefeln an den Kopf geworfen würden und daß sie von dem goldenen Spinnrädchen gar nichts wüßte.

Als der König zum drittenmal ein Fest anstellte, da gieng es nicht anders als die vorigemale. Der Koch sprach zwar „du bist eine Hexe, Rauhthierchen, und thust immer etwas in die Suppe, davon sie so gut wird, und dem König besser schmeckt als was ich koche;“ doch weil es so bat, so ließ er es auf die bestimmte Zeit hingehen. Nun zog es ein Kleid an, das wie die Sterne glänzte, und trat damit in den Saal. Der König tanzte wieder mit der schönen Jungfrau und meinte daß sie noch niemals so schön gewesen wäre. Und während er tanzte, steckte er ihr, ohne daß sie es merkte, einen goldenen Ring an den Finger, und hatte befohlen daß der Tanz recht lang währen sollte. Wie er zu Ende war, wollte er sie an den Händen fest halten, aber sie riß sich los und sprang so geschwind unter die Leute, daß sie vor seinen Augen verschwand. Sie lief, was sie konnte, in ihr Ställchen unter der Treppe, weil sie aber zu lange und über eine halbe Stunde geblieben war, so konnte sie das schöne Kleid nicht ausziehen, sondern warf nur den Mantel von Pelz darüber, und in der Eile machte sie sich auch nicht ganz rußig, sondern ein Finger blieb weiß. Allerleirauh lief nun in die Küche, kochte dem König die Brotsuppe und legte, wie der Koch fort war, den goldenen Haspel hinein. Der König als er den Haspel auf dem Grunde fand, ließ Allerleirauh rufen: da erblickte er den weißen Finger und sah den Ring, den er im Tanze ihr angesteckt hatte. Da ergriff er sie an der Hand, und hielt sie fest, und als sie sich losmachen und fortspringen wollte, that sich der Pelzmantel ein wenig auf, und das Sternenkleid schimmerte hervor. Der König faßte den Mantel und riß ihn ab. Da kamen die goldenen Haare hervor und sie stand da in voller Pracht und konnte sich nicht länger verbergen. Und als sie Ruß und Asche aus ihrem Gesicht gewischt hatte, da war sie schöner als man noch jemand auf Erden gesehen hat. Der König aber sprach „du bist meine liebe Braut, und wir scheiden nimmermehr von einander.“ Darauf ward die Hochzeit gefeiert, und sie lebten vergnügt bis an ihren Tod.

Samstag, 19. Mai 2012

Der Stiefel von Büffelleder

199. Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm


Ein Soldat, der sich vor nichts fürchtet, kümmert sich auch um nichts. So einer hatte seinen Abschied erhalten, und da er nichts gelernt hatte und nichts verdienen konnte, so zog er umher und bat gute Leute um ein Almosen. Auf seinen Schultern hieng ein alter Wettermantel, und ein paar Reiterstiefeln von Büffelleder waren ihm auch noch geblieben. Eines Tages gieng er, ohne auf Weg und Steg zu achten, immer ins Feld hinein und gelangte endlich in einen Wald. Er wußte nicht wo er war, sah aber auf einem abgehauenen Baumstamm einen Mann sitzen, der gut gekleidet war und einen grünen Jägerrock trug. Der Soldat reichte ihm die Hand, ließ sich neben ihm auf das Gras nieder und streckte seine Beine aus. „Ich sehe du hast feine Stiefel an, die glänzend gewichst sind“ sagte er zu dem Jäger, „wenn du aber herum ziehen müßtest wie ich, so würden sie nicht lange halten. Schau die meinigen an, die sind von Büffelleder und haben schon lange gedient, gehen aber durch dick und dünn.“ Nach einer Weile stand der Soldat auf und sprach „ich kann nicht länger bleiben, der Hunger treibt mich fort. Aber, Bruder Wichsstiefel, wohinaus geht der Weg?“ „Ich weiß es selber nicht“ antwortete der Jäger, „ich habe mich in dem Wald verirrt.“ „So geht dirs ja, wie mir“ sprach der Soldat, „gleich und gleich gesellt sich gern, wir wollen bei einander bleiben und den Weg suchen.“ Der Jäger lächelte ein wenig, und sie giengen zusammen fort immer weiter, bis die Nacht einbrach. „Wir kommen aus dem Wald nicht heraus“ sprach der Soldat, „aber ich sehe dort in der Ferne ein Licht schimmern, da wirds etwas zu essen geben.“ Sie fanden ein Steinhaus, klopften an die Thüre und ein altes Weib öffnete. „Wir suchen ein Nachtquartier“ sprach der Soldat, „und etwas Unterfutter für den Magen, denn der meinige ist so leer wie ein alter Tornister.“ „Hier könnt ihr nicht bleiben,“ antwortete die Alte, „das ist ein Räuberhaus, und ihr thut am klügsten daß ihr euch fortmacht, bevor sie heim kommen, denn finden sie euch, so seid ihr verloren.“ „Es wird so schlimm nicht sein,“ antwortete der Soldat, „ich habe seit zwei Tagen keinen Bissen genossen, und es ist mir einerlei ob ich hier umkomme oder im Wald vor Hunger sterbe. Ich gehe herein.“ Der Jäger wollte nicht folgen, aber der Soldat zog ihn am Ermel mit sich: „komm, Bruderherz, es wird nicht gleich an den Kragen gehen.“ Die Alte hatte Mitleiden und sagte „kriecht hinter den Ofen, wenn sie etwas übrig lassen und eingeschlafen sind, so will ichs euch zustecken.“ Kaum saßen sie in der Ecke, so kamen zwölf Räuber herein gestürmt, setzten sich an den Tisch, der schon gedeckt war, und forderten mit Ungestüm das Essen. Die Alte trug einen großen Braten herein, und die Räuber ließen sichs wohl schmecken. Als der Geruch von der Speise dem Soldaten in die Nase stieg, sagte er zum Jäger „ich halts nicht länger aus, ich setze mich an den Tisch und esse mit.“ „Du bringst uns ums Leben“ sprach der Jäger und hielt ihn am Arm. Aber der Soldat fieng an laut zu husten. Als die Räuber das hörten, warfen sie Messer und Gabel hin, sprangen auf und entdeckten die beiden hinter dem Ofen. „Aha, ihr Herrn,“ riefen sie, „sitzt ihr in der Ecke? was wollt ihr hier? seid ihr als Kundschafter ausgeschickt? wartet, ihr sollt an einem dürren Ast das Fliegen lernen.“ „Nur manierlich“ sprach der Soldat, „mich hungert, gebt mir zu essen, hernach könnt ihr mit mir machen was ihr wollt.“ Die Räuber stutzten und der Anführer sprach „ich sehe du fürchtest dich nicht, gut, Essen sollst du haben, aber hernach mußt du sterben.“ „Das wird sich finden“ sagte der Soldat, setzte sich an den Tisch und fieng an tapfer in den Braten einzuhauen. „Bruder Wichsstiefel, komm und iß,“ rief er dem Jäger zu, „du wirst hungrig sein, so gut als ich, und einen bessern Braten kannst du zu Haus nicht haben;“ aber der Jäger wollte nicht essen. Die Räuber sahen dem Soldaten mit Erstaunen zu und sagten „der Kerl macht keine Umstände.“ Hernach sprach er „das Essen wäre schon gut, nun schafft auch einen guten Trunk herbei.“ Der Anführer war in der Laune sich das auch noch gefallen zu lassen und rief der Alten zu „hol eine Flasche aus dem Keller und zwar von dem besten.“ Der Soldat zog den Pfropfen heraus daß es knallte, gieng mit der Flasche zu dem Jäger und sprach „gib acht, Bruder, du sollst dein blaues Wunder sehen: jetzt will ich eine Gesundheit auf die ganze Sippschaft ausbringen.“ Dann schwenkte er die Flasche über den Köpfen der Räuber, rief „ihr sollt alle leben, aber das Maul auf und die rechte Hand in der Höhe“ und that einen herzhaften Zug. Kaum waren die Worte heraus, so saßen sie alle bewegungslos als wären sie von Stein, hatten das Maul offen und streckten den rechten Arm in die Höhe. Der Jäger sprach zu dem Soldaten „ich sehe du kannst noch andere Kunststücke, aber nun komm und laß uns heim gehen.“ „Oho, Bruderherz, das wäre zu früh abmarschiert, wir haben den Feind geschlagen und wollen erst Beute machen. Die sitzen da fest und sperren das Maul vor Verwunderung auf: sie dürfen sich aber nicht rühren bis ich es erlaube. Komm iß und trink.“ Die Alte mußte noch eine Flasche von dem besten holen, und der Soldat stand nicht eher auf als bis er wieder für drei Tage gegessen hatte. Endlich als der Tag kam, sagte er „nun ist Zeit daß wir das Zelt abbrechen, und damit wir einen kurzen Marsch haben, so soll die Alte uns den nächsten Weg nach der Stadt zeigen.“ Als sie dort angelangt waren, gieng er zu seinen alten Kameraden und sprach „ich habe draußen im Wald ein Nest voll Galgenvögel aufgefunden, kommt mit, wir wollen es ausheben.“ Der Soldat führte sie an und sprach zu dem Jäger „du mußt wieder mit zurück und zusehen wie sie flattern, wenn wir sie an den Füßen packen.“ Er stellte die Mannschaft rings um die Räuber herum, dann nahm er die Flasche, trank einen Schluck, schwenkte sie über ihnen her und rief „ihr sollt alle leben!“ Augenblicklich hatten sie ihre Bewegung wieder, wurden aber niedergeworfen und an Händen und Füßen mit Stricken gebunden. Dann hieß sie der Soldat wie Säcke auf einen Wagen werfen und sagte „fahrt sie nur gleich vor das Gefängnis.“ Der Jäger aber nahm einen von der Mannschaft bei Seite und gab ihm noch eine Bestellung mit.

„Bruder Wichsstiefel,“ sprach der Soldat, „wir haben den Feind glücklich überrumpelt und uns wohl genährt, jetzt wollen wir als Nachzügler in aller Ruhe hinter her marschieren.“ Als sie sich der Stadt näherten, so sah der Soldat wie sich eine Menge Menschen aus dem Stadtthor drängten, lautes Freudengeschrei erhuben und grüne Zweige in der Luft schwangen. Dann sah er daß die ganze Leibwache herangezogen kam. „Was soll das heißen?“ sprach er ganz verwundert zu dem Jäger. „Weißt du nicht“ antwortete er, „daß der König lange Zeit aus seinem Reich entfernt war, heute kehrt er zurück, und da gehen ihm alle entgegen.“ „Aber wo ist der König“ sprach der Soldat, „ich sehe ihn nicht.“ „Hier ist er,“ antwortete der Jäger, „ich bin der König und habe meine Ankunft melden lassen.“ Dann öffnete er seinen Jägerrock, daß man die königlichen Kleider sehen konnte. Der Soldat erschrack, fiel auf die Knie und bat ihn um Vergebung daß er ihn in der Unwissenheit wie seines Gleichen behandelt und ihn mit solchem Namen angeredet habe. Der König aber reichte ihm die Hand und sprach „du bist ein braver Soldat und hast mir das Leben gerettet. Du sollst keine Noth mehr leiden, ich will schon für dich sorgen. Und wenn du einmal ein Stück guten Braten essen willst, so gut als in dem Räuberhaus, so komm nur in die königliche Küche. Willst du aber eine Gesundheit ausbringen, so sollst du erst bei mir Erlaubnis dazu holen.“


Freitag, 18. Mai 2012

Ferenand getrü un Ferenand ungetrü

126. Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm


Et was mal en Mann un ’ne Fru west, de hadden so lange se rick wören kene Kinner, as se awerst arm woren, da kregen se en kleinen Jungen. Se kunnen awerst kenen Paen dato kregen, da segde de Mann, he wulle mal na den annern Ohre (Orte) gahn un tosehn ob he da enen krege. Wie he so gienk, begegnete ünn en armen Mann, de frog en wo he hünne wulle, he segde he wulle hünn un tosehn dat he ’n Paen kriegte, he sie arm, un da wulle ünn ken Minske to Gevaher stahn. „O,“ segde de arme Mann, „gi sied arm, un ik sie arm, ik will guhe (euer) Gevaher weren; ik sie awerst so arm, ik kann dem Kinne nix giwen, gahet hen un segget de Bähmoer (Wehmutter) se sulle man mit den Kinne na der Kerken kummen.“ Ase se nu tohaupe an der Kerken kummet, da is de Bettler schaun darinne, de givt dem Kinne den Namen Ferenand getrü.

Wie he nu ut der Kerken gahet, da segd de Bettler, „nu gahet man na Hus, ik kann guh (euch) nix giwen un gi süllt mi ok nix giwen.“ De Bähmoer awerst gav he ’n Schlüttel un segd er se mögt en, wenn se na Hus käme, dem Vaer giwen, de sull’n verwahren, bis dat Kind vertein Johr old wöre, dann sull et up de Heide gahn, da wöre ’n Schlott, dato paßte de Schlüttel, wat darin wöre, dat sulle em hören. Wie dat Kind nu sewen Johr alt wor, un düet (tüchtig) wassen wor, gienk et mal spilen mit annern Jungens, da hadde de eine noch mehr vom Paen kriegt, ase de annere, he awerst kunne nix seggen, un da grinde he un gienk nah Hus un segde tom Vaer „hewe ik denn gar nix vom Paen kriegt?“ „O ja,“ segde de Vaer, „du hest en Schlüttel kriegt, wenn up de Heide ’n Schlott steit, so gah man hen un schlut et up.“ Da gienk he hen, awerst et was kein Schlott to hören un to sehen. Wier na sewen Jahren, ase he vertein Johr old is, geit he nochmals hen, da steit en Schlott darup. Wie he et upschloten het, da is der nix enne, ase ’n Perd, ’n Schümmel. Da werd de Junge so vuller Früden dat he dat Perd hadde, dat he sik darup sett un to sinen Vaer jegd (jagt). „Nu hew ik auck ’n Schümmel, nu will ik auck reisen“ segd he.

Da treckt he weg, un wie he unnerweges is, ligd da ’ne Schriffedder up ’n Wegge, he will se eist (erst) upnümmen, da denkt he awerst wier bie sich „o, du süst se auck liggen laten, du findst ja wul, wo du hen kümmst, ’ne Schriffedder, wenn du eine bruckest.“ Wie he so weggeit, do roppt et hinner üm „Ferenand getrü, nümm se mit.“ He süt sik ümme, süt awerst keinen, da geit he wier torugge un nümmt se up. Wie he wier ’ne Wile rien (geritten) is, kümmt he bie ’n Water vorbie, so ligd da en Fisk am Oewer (Ufer) un snappet un happet na Luft; so segd he „töv, min lewe Fisk, ik will die helpen, dat du in’t Water kümmst,“ un gript ’n bie’n Schwans un werpt ’n in’t Water. Da steckt de Fisk den Kopp ut den Water un segd „nu du mie ut den Koth holpen hest, will ik die ’ne Flötenpiepen giwen, wenn du in de Naud bist, so flöte derup, dann will ik die helpen, un wenn du mal wat in Water hest fallen laten, so flöte man, so will ik et die herut reicken.“ Nu ritt he weg, da kümmt so ’n Minsk to üm, de frägt ’n wo he hen wull. „O, na den neggsten Ohre.“ Wu he dann heite? „Ferenand getrü.“ „Sü, da hewe wie ja fast den sülwigen Namen, ik heite Ferenand ungetrü.“ Da trecket se beide na den neggsten Ohre in dat Wertshus.

Nu was et schlimm, dat de Ferenand ungetrü allet wuste wat ’n annerer dacht hadde un doen wulle; dat wust he döre so allerhand slimme Kunste. Et was awerst im Wertshuse so ’n wacker Mäken, dat hadde ’n schier (klares) Angesicht un drog sik so hübsch; dat verleiv sik in den Ferenand getrü, denn et was ’n hübschen Minschen west, un frog’n wo he hen to wulle. „O, he wulle so herümmer reisen.“ Da segd se so sull he doch nur da bliewen, et wöre hier to Lanne ’n Künig, de neime wull geren ’n Bedeenten oder ’n Vorrüter: dabie sulle he in Diensten gahn. He antworde he kunne nig gud so to einen hingahen un been sik an. Da segde dat Mäken „o, dat will ik dann schun dauen.“ Un so gienk se auck stracks hen na den Künig un sehde ünn se wüste ünn ’n hübschen Bedeenten. Dat was de wol tofreen un leit ’n to sik kummen un wull ’n tom Bedeenten macken. He wull awerst leewer Vorrüter sin, denn wo sin Perd wöre, da möst he auck sin; da mackt ’n de Künig tom Vorrüter. Wie düt de Ferenand ungetrü gewahr wore, da segd he to den Mäken „töv, helpest du den an un mie nig?“ „O,“ segd dat Mäken, „ik will ’n auck anhelpen.“ Se dachte „den most du die tom Frünne wahren, denn he is nig to truen.“ Se geit alse vorm Künig stahn un beed ’n als Bedeenten an; dat is de Künig tofreen.

Wenn he nu also det Morgens den Heren antrock, da jammerte de jümmer „o wenn ik doch eist mine Leiveste bie mie hädde.“ De Ferenand ungetrü was awerst dem Ferenand getrü jümmer uppsettsig, wie asso de Künig mal wier so jammerte, da segd he „Sie haben ja den Vorreiter, den schicken Sie hin, der muß sie herbeischaffen, und wenn er es nicht thut, so muß ihm der Kopf vor die Füße gelegt werden.“ Do leit de Künig den Ferenand getrü to sik kummen un sehde üm he hädde da un da ’ne Leiveste, de sull he ünn herschappen, wenn he dat nig deie, sull he sterwen.

De Ferenand getrü gienk in Stall to sinen Schümmel un grinde un jammerde. „O wat sin ik ’n unglücksch Minschenkind.“ Do röppet jeimes hinner üm „Ferdinand getreu, was weinst du?“ He süt sik um, süt awerst neimes, un jammerd jümmer fort „o min lewe Schümmelken, nu mot ik die verlaten, nu mot ik sterwen.“ Do röppet et wier „Ferdinand getreu, was weinst du?“ Do merket he eist dat dat sin Schümmelken dei, dat Fragen. „Döst du dat, min Schümmelken, kannst du küren (reden)?“ Un segd wier „ik sull da un da hen, un sull de Brut halen, west du nig wie ik dat wol anfange.“ Do antwoerd dat Schümmelken „gah du na den Künig un segg wenn he die giwen wulle wat du hewen möstest, so wullest du se ünn schappen: wenn he die ’n Schipp vull Fleisk un ’n Schipp vull Brod giwen wulle, so sull et gelingen; da wören de grauten Riesen up den Water, wenn du denen ken Fleisk midde brächtes, so terreitn se die: un da wören de grauten Vüggel, de pickeden die de Ogen ut den Koppe, wenn du ken Brod vor se häddest.“ Da lett de Künig alle Slächter im Lanne slachten un alle Becker backen, dat de Schippe vull werdt. Wie se vull sied, segd dat Schümmelken tom Ferenand getrü „nu gah man up mie sitten un treck mit mie in’t Schipp, wenn dann de Riesen kümmet, so segg

„still, still, meine lieben Riesechen,
ich hab euch wohl bedacht,
ich hab euch was mitgebracht.“
Un wenn de Vüggel kümmet, so seggst du wier

„still, still, meine lieben Vögelchen,
ich hab euch wohl bedacht,
ich hab euch was mitgebracht.“

Dann doet sie die nix, un wenn du dann bie dat Schlott kümmst, dann helpet die de Riesen, dann gah up dat Schlott un nümm ’n Paar Riesen mit, da ligd de Prinzessin un schlöppet; du darfst se awerst nig upwecken, sonnern de Riesen mött se mit den Bedde upnümmen un in dat Schipp dregen.“ Und da geschah nun alles, wie das Schimmelchen gesagt hatte, und den Riesen und den Vögeln gab der Ferenand getrü was er ihnen mitgebracht hatte, dafür wurden die Riesen willig und trugen die Prinzessin in ihrem Bett zum König. Un ase se tom Künig kümmet, segd se se künne nig liwen, se möste ere Schriften hewen, de wören up eren Schlotte liggen bliwen. Da werd de Ferenand getrü up Anstifften det Ferenand ungetrü roopen, un de Künig bedütt ünn he sulle de Schriften van dem Schlotte halen, süst sull he sterwen. Da geit he wier in Stall, un grind un segd „o min lewe Schümmelken, nu sull ik noch ’n mal weg, wie süll wie dat macken?“ Da segd de Schümmel se sullen dat Schipp man wier vull laen (laden). Da geht es wieder wie das vorigemal, und die Riesen und die Vögel werden von dem Fleisch gesättigt und besänftigt. Ase se bie dat Schlott kümmet, segd de Schümmel to ünn he sulle man herin gahn, in den Schlapzimmer der Prinzessin, up den Diske da lägen de Schriften. Da geit Ferenand getrü hün un langet se. Ase se up’n Water sind, da let he sine Schriffedder in’t Water fallen, da segd de Schümmel „nu kann ik die awerst nig helpen.“ Da fällt’n dat bie mit de Flötepiepen, he fänkt an to flöten, da kümmt de Fisk un het de Fedder im Mule un langet se’m hen. Nu bringet he de Schriften na dem Schlotte, wo de Hochtid hallen werd.

De Künigin mogte awerst den Künig nig lien, weil he keine Nese hadde, sonnern se mogte den Ferenand getrü geren lien. Wie nu mal alle Herens vom Hove tosammen sied, so segd de Künigin, se könne auck Kunststücke macken, se künne einen den Kopp afhoggen un wier upsetten, et sull nur mant einer versöcken. Da wull awerst kener de eiste sien, da mott Ferenand getrü daran, wier up Anstifften von Ferenand ungetrü, den hogget se den Kopp af un sett’n ünn auck wier up, et is auck glick wier tau heilt, dat et ut sach ase hädde he ’n roen Faen (Faden) üm ’n Hals. Da segd de Künig to ehr „mein Kind, wo hast du denn das gelernt?“ „Ja,“ segd se, „die Kunst versteh ich, soll ich es an dir auch einmal versuchen?“ „O ja“ segd he. Do hogget se en awerst den Kopp af un sett’n en nig wier upp, se doet as ob se’n nig darup kriegen künne, un as ob he nig fest sitten wulle. Da werd de Künig begrawen, se awerst frigget den Ferenand getrü.

He ride awerst jümmer sinen Schümmel, un ase he mal darup sat, da segd he to em he sulle mal up ’ne annere Heide de he em wist, trecken un da dreimal mit em herumme jagen. Wie he dat dahen hadde, da geit de Schümmel up de Hinnerbeine stahn un verwannelt sik in ’n Künigssuhn.





Donnerstag, 17. Mai 2012

Kinder und Hausmärchen

Sammlung der Brüder Grimm



40. Der Räuberbräutigam
41. Herr Korbes
42. Der Herr Gevatter
43. Frau Trude
44. Der Gevatter Tod
45. Daumerlings Wanderschaft
46. Fitchers Vogel
47. Von dem Machandelboom
48. Der alte Sultan
49. Die sechs Schwäne
50. Dornröschen
51. Fundevogel
52. König Drosselbart
53. Sneewittchen
54. Der Ranzen, das Hütlein und das Hörnlein
55. Rumpelstilzchen
56. Der Liebste Roland
57. Der goldene Vogel
58. Der Hund und der Sperling
59. Der Frieder und das Catherlieschen

60. Die zwei Brüder
61. Das Bürle
62. Die Bienenkönigin
63. Die drei Federn
64. Die goldene Gans
65. Allerleirauh
66. Häsichenbraut
67. Die zwölf Jäger
68. De Gaudeif un sien Meester
69. Jorinde und Joringel
70. Die drei Glückskinder
71. Sechse kommen durch die ganze Welt
72. Der Wolf und der Mensch
73. Der Wolf und der Fuchs
74. Der Fuchs und die Frau Gevatterin
75. Der Fuchs und die Katze
76. Die Nelke
77. Das kluge Grethel
78. Der alte Großvater und der Enkel
79. Die Wassernixe

80. Von dem Tode des Hühnchens
81. Bruder Lustig
82. De Spielhansl
83. Hans im Glück
84. Hans heirathet
85. Die Goldkinder
86. Der Fuchs und die Gänse
87. Der Arme und der Reiche
88. Das singende springende Löweneckerchen
89. Die Gänsemagd
90. Der junge Riese
91. Dat Erdmänneken
92. Der König vom goldenen Berge
93. Die Rabe
94. Die kluge Bauerntochter
95. Der alte Hildebrand
96. De drei Vügelkens
97. Das Wasser des Lebens
98. Doctor Allwissend
99. Der Geist im Glas

100. Des Teufels rußiger Bruder
101. Der Bärenhäuter
102. Der Zaunkönig und der Bär
103. Der süße Brei
104. Die klugen Leute
105. Märchen von der Unke
106. Der arme Müllerbursch und das Kätzchen
107. Die beiden Wanderer
108. Hans mein Igel
109. Das Todtenhemdchen
110. Der Jude im Dorn
111. Der gelernte Jäger
112. Der Dreschflegel vom Himmel
113. De beiden Künigeskinner
114. Vom klugen Schneiderlein
115. Die klare Sonne bringts an den Tag
116. Das blaue Licht
117. Das eigensinnige Kind
118. Die drei Feldscherer
119. Die sieben Schwaben

120. Die drei Handwerksburschen
121. Der Königssohn der sich vor nichts fürchtet
122. Der Krautesel
123. Die Alte im Wald
124. Die drei Brüder
125. Der Teufel und seine Großmutter
126. Ferenand getrü un Ferenand ungetrü
127. Der Eisenofen
128. Die faule Spinnerin
129. Die vier kunstreichen Brüder
130. Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein
131. Die schöne Katrinelje und Pif Paf Poltrie
132. Der Fuchs und das Pferd
133. Die zertanzten Schuhe
134. Die sechs Diener
135. Die weiße und die schwarze Braut
136. Eisenhans
137. De drei schwatten Princessinnen
138. Knoist un sine dre Sühne
139. Dat Mäken von Brakel

140. Das Hausgesinde
141. Das Lämmchen und Fischchen
142. Simeliberg
143. Up Reisen gohn
144. Das Eselein
145. Der undankbare Sohn
146. Die Rübe
147. Das junggeglühte Männlein
148. Des Herrn und des Teufels Gethier
149. Der Hahnenbalken
150. Die alte Bettelfrau
151. Die drei Faulen
151. Die zwölf faulen Knechte
152. Das Hirtenbüblein
153. Der Sternthaler
154. Der gestohlene Heller
155. Die Brautschau
156. Die Schlickerlinge
157. Der Sperling und seine vier Kinder
158. Das Märchen vom Schlauraffenland
159. Das Dietmarsische Lügenmärchen

160. Räthselmärchen
161. Schneeweißchen und Rosenroth
162. Der kluge Knecht
163. Der gläserne Sarg
164. Der faule Heinz
165. Der Vogel Greif
166. Der starke Hans
167. Das Bürle im Himmel
168. Die hagere Liese
169. Das Waldhaus
170. Lieb und Leid theilen
171. Der Zaunkönig
172. Die Scholle
173. Rohrdommel und Wiedehopf
174. Die Eule
175. Der Mond
176. Die Lebenszeit
177. Die Boten des Todes
178. Meister Pfriem
179. Die Gänsehirtin am Brunnen

180. Die ungleichen Kinder Evas
181. Die Nixe im Teich
182. Die Geschenke des kleinen Volkes
183. Der Riese und der Schneider
184. Der Nagel
185. Der arme Junge im Grab
186. Die wahre Braut
187. Der Hase und der Igel
188. Spindel, Weberschiffchen und Nadel
189. Der Bauer und der Teufel
190. Die Brosamen auf dem Tisch
191. Das Meerhäschen
192. Der Meisterdieb
193. Der Trommler
194. Die Kornähre
195. Der Grabhügel
196. Oll Rinkrank
Kinder und Hausmärchen197. Die Krystallkugel
198. Jungfrau Maleen
199. Der Stiefel von Büffelleder
200. Der goldene Schlüssel


Sonntag, 13. Mai 2012

Hans im Glück

83. Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm


Hans hatte sieben Jahre bei seinem Herrn gedient, da sprach er zu ihm „Herr, meine Zeit ist herum, nun wollte ich gerne wieder heim zu meiner Mutter, gebt mir meinen Lohn.“ Der Herr antwortete „du hast mir treu und ehrlich gedient, wie der Dienst war, so soll der Lohn sein,“ und gab ihm ein Stück Gold, das so groß als Hansens Kopf war. Hans zog sein Tüchlein aus der Tasche, wickelte den Klumpen hinein, setzte ihn auf die Schulter und machte sich auf den Weg nach Haus. Wie er so dahin gieng und immer ein Bein vor das andere setzte, kam ihm ein Reiter in die Augen, der frisch und fröhlich auf einem muntern Pferd vorbei trabte. „Ach,“ sprach Hans ganz laut, „was ist das Reiten ein schönes Ding! da sitzt einer wie auf einem Stuhl, stößt sich an keinen Stein, spart die Schuh, und kommt fort, er weiß nicht wie.“ Der Reiter, der das gehört hatte, hielt an und rief „ei, Hans, warum laufst du auch zu Fuß?“ „Ich muß ja wohl,“ antwortete er, „da habe ich einen Klumpen heim zu tragen: es ist zwar Gold, aber ich kann den Kopf dabei nicht gerad halten, auch drückt mirs auf die Schulter.“ „Weißt du was,“ sagte der Reiter, „wir wollen tauschen: ich gebe dir mein Pferd, und du gibst mir deinen Klumpen.“ „Von Herzen gern,“ sprach Hans, „aber ich sage euch ihr müßt euch damit schleppen.“ Der Reiter stieg ab, nahm das Gold und half dem Hans hinauf, gab ihm die Zügel fest in die Hände und sprach „wenns nun recht geschwind soll gehen, so mußt du mit der Zunge schnalzen, und hopp hopp rufen.“

Hans war seelenfroh, als er auf dem Pferde saß und so frank und frei dahin ritt. Über ein Weilchen fiels ihm ein, es sollte noch schneller gehen, und fieng an mit der Zunge zu schnalzen und hopp hopp zu rufen. Das Pferd setzte sich in starken Trab, und ehe sichs Hans versah, war er abgeworfen und lag in einem Graben, der die Äcker von der Landstraße trennte. Das Pferd wäre auch durchgegangen, wenn es nicht ein Bauer aufgehalten hätte, der des Weges kam und eine Kuh vor sich her trieb. Hans suchte seine Glieder zusammen und machte sich wieder auf die Beine. Er war aber verdrießlich und sprach zu dem Bauer „es ist ein schlechter Spaß, das Reiten, zumal, wenn man auf so eine Mähre geräth wie diese, die stößt und einen herabwirft, daß man den Hals brechen kann; ich setze mich nun und nimmermehr wieder auf. Da lob ich mir eure Kuh, da kann einer mit Gemächlichkeit hinter her gehen und hat obendrein seine Milch, Butter und Käse jeden Tag gewiß. Was gäb ich darum, wenn ich so eine Kuh hätte!“ „Nun,“ sprach der Bauer, „geschieht euch so ein großer Gefallen, so will ich euch wohl die Kuh für das Pferd vertauschen.“ Hans willigte mit tausend Freuden ein: der Bauer schwang sich aufs Pferd und ritt eilig davon.

Hans trieb seine Kuh ruhig vor sich her und bedachte den glücklichen Handel. „Hab ich nur ein Stück Brot, und daran wird mirs doch nicht fehlen, so kann ich, so oft mirs beliebt, Butter und Käse dazu essen; hab ich Durst, so melk ich meine Kuh und trinke Milch. Herz, was verlangst du mehr?“ Als er zu einem Wirthshaus kam, machte er Halt, aß in der großen Freude alles, was er bei sich hatte, sein Mittags- und Abendbrot, rein auf, und ließ sich für seine letzten paar Heller ein halbes Glas Bier einschenken. Dann trieb er seine Kuh weiter, immer nach dem Dorfe seiner Mutter zu. Die Hitze ward drückender, je näher der Mittag kam, und Hans befand sich in einer Heide, die wohl noch eine Stunde dauerte. Da ward es ihm ganz heiß, so daß ihm vor Durst die Zunge am Gaumen klebte. „Dem Ding ist zu helfen,“ dachte Hans, „jetzt will ich meine Kuh melken und mich an der Milch laben.“ Er band sie an einen dürren Baum, und da er keinen Eimer hatte, so stellte er seine Ledermütze unter, aber wie er sich auch bemühte, es kam kein Tropfen Milch zum Vorschein. Und weil er sich ungeschickt dabei anstellte, so gab ihm das ungeduldige Thier endlich mit einem der Hinterfüße einen solchen Schlag vor den Kopf, daß er zu Boden taumelte und eine zeitlang sich gar nicht besinnen konnte wo er war. Glücklicherweise kam gerade ein Metzger des Weges, der auf einem Schubkarren ein junges Schwein liegen hatte. „Was sind das für Streiche!“ rief er und half dem guten Hans auf. Hans erzählte was vorgefallen war. Der Metzger reichte ihm seine Flasche und sprach „da trinkt einmal und erholt euch. Die Kuh will wohl keine Milch geben, das ist ein altes Thier, das höchstens noch zum Ziehen taugt oder zum Schlachten.“ „Ei, ei,“ sprach Hans, und strich sich die Haare über den Kopf, „wer hätte das gedacht! es ist freilich gut, wenn man so ein Thier ins Haus abschlachten kann, was gibts für Fleisch! aber ich mache mir aus dem Kuhfleisch nicht viel, es ist mir nicht saftig genug. Ja, wer so ein junges Schwein hätte! das schmeckt anders, dabei noch die Würste.“ „Hört, Hans,“ sprach da der Metzger, „euch zu Liebe will ich tauschen und will euch das Schwein für die Kuh lassen.“ „Gott lohn euch eure Freundschaft“ sprach Hans, übergab ihm die Kuh, ließ sich das Schweinchen vom Karren losmachen und den Strick, woran es gebunden war, in die Hand geben.

Hans zog weiter und überdachte wie ihm doch alles nach Wunsch gienge, begegnete ihm ja eine Verdrießlichkeit, so würde sie doch gleich wieder gut gemacht. Es gesellte sich danach ein Bursch zu ihm, der trug eine schöne weiße Gans unter dem Arm. Sie boten einander die Zeit, und Hans fieng an von seinem Glück zu erzählen und wie er immer so vortheilhaft getauscht hätte. Der Bursch erzählte ihm daß er die Gans zu einem Kindtaufschmaus brächte. „Hebt einmal,“ fuhr er fort, und packte sie bei den Flügeln, „wie schwer sie ist, die ist aber auch acht Wochen lang genudelt worden. Wer in den Braten beißt, muß sich das Fett von beiden Seiten abwischen.“ „Ja,“ sprach Hans, und wog sie mit der einen Hand, „die hat ihr Gewicht, aber mein Schwein ist auch keine Sau.“ Indessen sah sich der Bursch nach allen Seiten ganz bedenklich um, schüttelte auch wohl mit dem Kopf. „Hört,“ fieng er darauf an, „mit eurem Schweine mags nicht ganz richtig sein. In dem Dorfe, durch das ich gekommen bin, ist eben dem Schulzen eins aus dem Stall gestohlen worden. Ich fürchte, ich fürchte, ihr habts da in der Hand. Sie haben Leute ausgeschickt, und es wäre ein schlimmer Handel, wenn sie euch mit dem Schwein erwischten: das geringste ist, daß ihr ins finstere Loch gesteckt werdet.“ Dem guten Hans ward bang, „ach Gott,“ sprach er, „helft mir aus der Noth, ihr wißt hier herum bessern Bescheid, nehmt mein Schwein da und laßt mir eure Gans.“ „Ich muß schon etwas aufs Spiel setzen,“ antwortete der Bursche, „aber ich will doch nicht Schuld sein daß ihr ins Unglück gerathet.“ Er nahm also das Seil in die Hand und trieb das Schwein schnell auf einen Seitenweg fort: der gute Hans aber gieng, seiner Sorgen entledigt, mit der Gans unter dem Arme der Heimath zu. „Wenn ichs recht überlege,“ sprach er mit sich selbst, „habe ich noch Vortheil bei dem Tausch: erstlich den guten Braten, hernach die Menge von Fett, die herausträufeln wird, das gibt Gänsefettbrot auf ein Vierteljahr: und endlich die schönen weißen Federn, die laß ich mir in mein Kopfkissen stopfen, und darauf will ich wohl ungewiegt einschlafen. Was wird meine Mutter eine Freude haben!“

Als er durch das letzte Dorf gekommen war, stand da ein Scheerenschleifer mit seinem Karren, sein Rad schnurrte, und er sang dazu

„ich schleife die Scheere und drehe geschwind,
und hänge mein Mäntelchen nach dem Wind.“

Hans blieb stehen und sah ihm zu; endlich redete er ihn an, und sprach „euch gehts wohl, weil ihr so lustig bei eurem Schleifen seid.“ „Ja,“ antwortete der Scheerenschleifer, „das Handwerk hat einen güldenen Boden. Ein rechter Schleifer ist ein Mann, der, so oft er in die Tasche greift, auch Geld darin findet. Aber wo habt ihr die schöne Gans gekauft?“ „Die hab ich nicht gekauft, sondern für mein Schwein eingetauscht.“ „Und das Schwein?“ „Das hab ich für eine Kuh gekriegt.“ „Und die Kuh?“ „Die hab ich für ein Pferd bekommen.“ „Und das Pferd?“ „Dafür hab ich einen Klumpen Gold, so groß als mein Kopf, gegeben.“ „Und das Gold?“ „Ei, das war mein Lohn für sieben Jahre Dienst.“ „Ihr habt euch jederzeit zu helfen gewußt,“ sprach der Schleifer, „könnt ihrs nun dahin bringen, daß ihr das Geld in der Tasche springen hört, wenn ihr aufsteht, so habt ihr euer Glück gemacht.“ „Wie soll ich das anfangen?“ sprach Hans „Ihr müßt ein Schleifer werden, wie ich; dazu gehört eigentlich nichts, als ein Wetzstein, das andere findet sich schon von selbst. Da hab ich einen, der ist zwar ein wenig schadhaft, dafür sollt ihr mir aber auch weiter nichts als eure Gans geben; wollt ihr das?“ „Wie könnt ihr noch fragen,“ antwortete Hans, „ich werde ja zum glücklichsten Menschen auf Erden; habe ich Geld, so oft ich in die Tasche greife, was brauche ich da länger zu sorgen?“ reichte ihm die Gans hin, und nahm den Wetzstein in Empfang. „Nun,“ sprach der Schleifer, und hob einen gewöhnlichen schweren Feldstein, der neben ihm lag, auf, „da habt ihr noch einen tüchtigen Stein dazu, auf dem sichs gut schlagen läßt, und ihr eure alten Nägel gerade klopfen könnt. Nehmt hin und hebt ihn ordentlich auf.“

Hans lud den Stein auf und gieng mit vergnügtem Herzen weiter; seine Augen leuchteten vor Freude, „ich muß in einer Glückshaut geboren sein,“ rief er aus, „alles was ich wünsche trifft mir ein, wie einem Sonntagskind.“ Indessen, weil er seit Tagesanbruch auf den Beinen gewesen war, begann er müde zu werden; auch plagte ihn der Hunger, da er allen Vorrath auf einmal in der Freude über die erhandelte Kuh aufgezehrt hatte. Er konnte endlich nur mit Mühe weiter gehen und mußte jeden Augenblick Halt machen; dabei drückten ihn die Steine ganz erbärmlich. Da konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, wie gut es wäre, wenn er sie gerade jetzt nicht zu tragen brauchte. Wie eine Schnecke kam er zu einem Feldbrunnen geschlichen, wollte da ruhen und sich mit einem frischen Trunk laben: damit er aber die Steine im Niedersitzen nicht beschädigte, legte er sie bedächtig neben sich auf den Rand des Brunnens. Darauf setzte er sich nieder und wollte sich zum Trinken bücken, da versah ers, stieß ein klein wenig an, und beide Steine plumpten hinab. Hans, als er sie mit seinen Augen in die Tiefe hatte versinken sehen, sprang vor Freuden auf, kniete dann nieder und dankte Gott mit Thränen in den Augen daß er ihm auch diese Gnade noch erwiesen und ihn auf eine so gute Art und ohne daß er sich einen Vorwurf zu machen brauchte, von den schweren Steinen befreit hätte, die ihm allein noch hinderlich gewesen wären. „So glücklich wie ich,“ rief er aus, „gibt es keinen Menschen unter der Sonne.“ Mit leichtem Herzen und frei von aller Last sprang er nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter war.

Die drei Glückskinder

70. Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm


Ein Vater ließ einmal seine drei Söhne vor sich kommen und schenkte dem ersten einen Hahn, dem zweiten eine Sense, dem dritten eine Katze. „Ich bin schon alt,“ sagte er, „und mein Tod ist nah, da wollte ich euch vor meinem Ende noch versorgen. Geld hab ich nicht, und was ich euch jetzt gebe, scheint wenig werth, es kommt aber bloß darauf an, daß ihr es verständig anwendet: sucht euch nur ein Land, wo dergleichen Dinge noch unbekannt sind, so ist euer Glück gemacht.“ Nach dem Tode des Vaters gieng der älteste mit seinem Hahn aus, wo er aber hinkam, war der Hahn schon bekannt: in den Städten sah er ihn schon von weitem auf den Thürmen sitzen, und sich mit dem Wind umdrehen, in den Dörfern hörte er mehr als einen krähen, und niemand wollte sich über das Thier wundern, so daß es nicht das Ansehn hatte, als würde er sein Glück damit machen. Endlich aber gerieths ihm doch, daß er auf eine Insel kam, wo die Leute nichts von einem Hahn wußten, sogar ihre Zeit nicht einzutheilen verstanden. Sie wußten wohl wenns Morgen oder Abend war, aber Nachts, wenn sies nicht verschliefen, wußte sich keiner aus der Zeit herauszufinden. „Seht,“ sprach er, „was für ein stolzes Thier, es hat eine rubinrothe Krone auf dem Kopf, und trägt Sporn wie ein Ritter: es ruft euch des Nachts dreimal zu bestimmter Zeit an, und wenns das letztemal ruft, so geht die Sonne bald auf. Wenns aber bei hellem Tag ruft, so richtet euch darauf ein, dann gibts gewiß anderes Wetter.“ Den Leuten gefiel das wohl, sie schliefen eine ganze Nacht nicht und hörten mit großer Freude wie der Hahn um zwei vier und sechs Uhr laut und vernehmlich die Zeit abrief. Sie fragten ihn ob das Thier nicht feil wäre und wieviel er dafür verlangte. „Etwa so viel, als ein Esel Gold trägt,“ antwortete er. „Ein Spottgeld für ein so kostbares Thier“ riefen sie insgesammt und gaben ihm gerne was er gefordert hatte.

Als er mit dem Reichthum heim kam, verwunderten sich seine Brüder, und der zweite sprach „so will ich mich doch aufmachen und sehen ob ich meine Sense auch so gut losschlagen kann.“ Es hatte aber nicht das Ansehen danach, denn überall begegneten ihm Bauern und hatten so gut eine Sense auf der Schulter als er. Doch zuletzt glückte es ihm auch auf einer Insel, wo die Leute nichts von einer Sense wußten. Wenn dort das Korn reif war, so fuhren sie Kanonen vor den Feldern auf, und schossens herunter. Das war nun ein ungewisses Ding, mancher schoß drüber hinaus, ein anderer traf statt des Halms die Ähren, und schoß sie fort, dabei gieng viel zu Grund, und obendrein gabs einen lästerlichen Lärmen. Da stellte sich der Mann hin und mähte es so still und so geschwind nieder, daß die Leute Maul und Nase vor Verwunderung aufsperrten. Sie waren willig ihm dafür zu geben was er verlangte, und er bekam ein Pferd, dem war Gold aufgeladen, so viel es tragen konnte.

Nun wollte der dritte Bruder seine Katze auch an den rechten Mann bringen. Es gieng ihm wie den andern, so lange er auf dem festen Lande blieb, war nichts auszurichten, es gab aller Orten Katzen, und waren ihrer so viel, daß die neugebornen Jungen meist im Wasser ersäuft wurden. Endlich ließ er sich auf eine Insel überschiffen, und es traf sich glücklicherweise, daß dort noch niemals eine gesehen war und doch die Mäuse so überhand genommen hatten, daß sie auf den Tischen und Bänken tanzten, der Hausherr mochte daheim sein oder nicht. Die Leute jammerten gewaltig über die Plage, der König selbst wußte sich in seinem Schlosse nicht dagegen zu retten: in allen Ecken pfiffen Mäuse und zernagten was sie mit ihren Zähnen nur packen konnten. Da fieng nun die Katze ihre Jagd an und hatte bald ein paar Säle gereinigt, und die Leute baten den König das Wunderthier für das Reich zu kaufen. Der König gab gerne was gefordert wurde, das war ein mit Gold beladener Maulesel, und der dritte Bruder kam mit den allergrößten Schätzen heim.

Die Katze machte sich in dem königlichen Schlosse mit den Mäusen eine rechte Lust und biß so viele todt daß sie nicht mehr zu zählen waren. Endlich ward ihr von der Arbeit heiß, und sie bekam Durst: da blieb sie stehen, drehte den Kopf in die Höhe und schrie „miau, miau.“ Der König sammt allen seinen Leuten, als sie das seltsame Geschrei vernahmen, erschraken und liefen in ihrer Angst sämmtlich zum Schloß hinaus. Unten hielt der König Rath, was zu thun das beste wäre; zuletzt ward beschlossen einen Herold an die Katze abzuschicken und sie aufzufordern das Schloß zu verlassen, oder zu gewärtigen daß Gewalt gegen sie gebraucht würde. Die Räthe sagten „lieber wollen wir uns von den Mäusen plagen lassen, an das Übel sind wir gewöhnt, als unser Leben einem solchen Unthier Preis geben.“ Ein Edelknabe mußte hinauf gehen und die Katze fragen „ob sie das Schloß gutwillig räumen wollte?“ Die Katze aber, deren Durst nur noch größer geworden war, antwortete bloß „miau, miau.“ Der Edelknabe verstand „durchaus, durchaus nicht,“ und überbrachte dem König die Antwort. „Nun,“ sprachen die Räthe, „soll sie der Gewalt weichen.“ Es wurden Kanonen aufgeführt und das Haus in Brand geschossen. Als das Feuer in den Saal kam wo die Katze saß, sprang sie glücklich zum Fenster hinaus; die Belagerer hörten aber nicht eher auf, als bis das ganze Schloß in Grund und Boden geschossen war.

Jorinde und Joringel

69. Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm


Es war einmal ein altes Schloß mitten in einem großen dicken Wald, darinnen wohnte eine alte Frau ganz allein, das war eine Erzzauberin. Am Tage machte sie sich zur Katze oder zur Nachteule, des Abends aber wurde sie wieder ordentlich wie ein Mensch gestaltet. Sie konnte das Wild und die Vögel herbei locken, und dann schlachtete sie, kochte und briet es. Wenn Jemand auf hundert Schritte dem Schloß nahe kam, so mußte er stille stehen und konnte sich nicht von der Stelle bewegen, bis sie ihn los sprach: wenn aber eine keusche Jungfrau in diesen Kreiß kam, so verwandelte sie dieselbe in einen Vogel, und sperrte sie dann in einen Korb ein, und trug den Korb in eine Kammer des Schlosses. Sie hatte wohl sieben tausend solcher Körbe mit so raren Vögeln im Schlosse.

Nun war einmal eine Jungfrau, die hieß Jorinde: sie war schöner als alle andere Mädchen. Die, und dann ein gar schöner Jüngling, Namens Joringel, hatten sich zusammen versprochen. Sie waren in den Brauttagen und sie hatten ihr größtes Vergnügen eins am andern. Damit sie nun einsmalen vertraut zusammen reden könnten, giengen sie in den Wald spazieren. „Hüte dich,“ sagte Joringel, „daß du nicht so nahe ans Schloß kommst.“ Es war ein schöner Abend, die Sonne schien zwischen den Stämmen der Bäume hell ins dunkle Grün des Waldes, und die Turteltaube sang kläglich auf den alten Maibuchen.

Jorinde weinte zuweilen, setzte sich hin im Sonnenschein und klagte; Joringel klagte auch. Sie waren so bestürzt, als wenn sie hätten sterben sollen: sie sahen sich um, waren irre und wußten nicht wohin sie nach Hause gehen sollten. Noch halb stand die Sonne über dem Berg und halb war sie unter. Joringel sah durchs Gebüsch und sah die alte Mauer des Schlosses nah bei sich; er erschrack und wurde todtbang. Jorinde sang

„mein Vöglein mit dem Ringlein roth
singt Leide, Leide, Leide:
es singt dem Täubelein seinen Tod,
singt Leide, Lei– zucküth, zicküth, zicküth.“

Joringel sah nach Jorinde. Jorinde war in eine Nachtigall verwandelt, die sang „zicküth, zicküth.“ Eine Nachteule mit glühenden Augen flog dreimal um sie herum und schrie dreimal „schu, hu, hu, hu.“ Joringel konnte sich nicht regen: er stand da wie ein Stein, konnte nicht weinen, nicht reden, nicht Hand noch Fuß regen. Nun war die Sonne unter: die Eule flog in einen Strauch, und gleich darauf kam eine alte krumme Frau aus diesem hervor, gelb und mager: große rothe Augen, krumme Nase, die mit der Spitze ans Kinn reichte. Sie murmelte, fieng die Nachtigall und trug sie auf der Hand fort. Joringel konnte nichts sagen, nicht von der Stelle kommen; die Nachtigall war fort. Endlich kam das Weib wieder und sagte mit dumpfer Stimme „grüß dich, Zachiel, wenns Möndel ins Körbel scheint, bind los, Zachiel, zu guter Stund.“ Da wurde Joringel los. Er fiel vor dem Weib auf die Knie und bat sie möchte ihm seine Jorinde wieder geben, aber sie sagte er sollte sie nie wieder haben, und gieng fort.

Er rief, er weinte, er jammerte, aber alles umsonst. „Uu, was soll mir geschehen?“ Joringel gieng fort und kam endlich in ein fremdes Dorf: da hütete er die Schafe lange Zeit. Oft gieng er rund um das Schloß herum, aber nicht zu nahe dabei. Endlich träumte er einmal des Nachts er fände eine blutrothe Blume, in deren Mitte eine schöne große Perle war. Die Blume brach er ab, gieng damit zum Schlosse: alles, was er mit der Blume berührte, ward von der Zauberei frei: auch träumte er, er hätte seine Jorinde dadurch wieder bekommen. Des Morgens, als er erwachte, fieng er an durch Berg und Thal zu suchen ob er eine solche Blume fände: er suchte bis an den neunten Tag, da fand er die blutrothe Blume am Morgen früh. In der Mitte war ein großer Thautropfe, so groß wie die schönste Perle. Diese Blume trug er Tag und Nacht bis zum Schloß. Wie er auf hundert Schritt nahe bis zum Schloß kam, da ward er nicht fest, sondern gieng fort bis ans Thor. Joringel freute sich hoch, berührte die Pforte mit der Blume, und sie sprang auf. Er gieng hinein, durch den Hof, horchte wo er die vielen Vögel vernähme: endlich hörte ers. Er gieng und fand den Saal, darauf war die Zauberin und fütterte die Vögel in den sieben tausend Körben. Wie sie den Joringel sah, ward sie bös, sehr bös, schalt, spie Gift und Galle gegen ihn aus, aber sie konnte auf zwei Schritte nicht an ihn kommen. Er kehrte sich nicht an sie und gieng, besah die Körbe mit den Vögeln; da waren aber viele hundert Nachtigallen, wie sollte er nun seine Jorinde wieder finden? Indem er so zusah, daß die Alte heimlich ein Körbchen mit einem Vogel wegnahm und damit nach der Thüre gieng. Flugs sprang er hinzu, berührte das Körbchen mit der Blume und auch das alte Weib: nun konnte sie nichts mehr zaubern, und Jorinde stand da, hatte ihn um den Hals gefaßt, so schön wie sie ehemals war. Da machte er auch alle die andern Vögel wieder zu Jungfrauen, und da gieng er mit seiner Jorinde nach Hause, und sie lebten lange vergnügt zusammen.

Funklöcher und Frequenzstörungen

Der Familien Funk hilft explizit gegen Funklöcher und Frequenzstörungen.